1. Ausbau der Autonomie
Es besteht der Wunsch - nach Klärung der Staatskompetenzen - sämtliche Zuständigkeiten an das Land Südtirol zu übertragen. Genannt werden u.a.: Steuerhoheit, Justiz, Schule, Polizei, öffentliches Vergabewesen, Umsetzung EU-Recht, Sport, Post, Umweltschutz, Gesundheitswesen, Jagd. Zudem müssten bestehende Kompetenzen gefestigt und ausgebaut werden, da das Verfassungsgericht zu oft mittels zentralistischer Auslegung eingreift. Es bedürfte einer personellen Aufstockung der Anwaltschaft des Landes. Auch sollte man den Spielraum im Bereich der primären und sekundären Kompetenzen besser nutzen (wie im Trentino). Sportautonomie stehe Südtirol zu, heißt es mit Verweis auf andere Länder wie San Marino. Es sei ein unbezahlbarer Werbeeffekt, wenn Südtiroler Sportler mit einem Südtiroler Werbeaufdruck an den Start gehen. Gefordert wird, dass das Subsidiaritätsprinzip auch zwischen Land und Gemeinden angewendet wird. Die Gemeinden sollten angemessene Geldmittel, Stabilität und Planungssicherheit erhalten. Angeführt wird auch, dass die Polizei nationale Kompetenz bleiben soll, um eine gute Kommunikation zwischen Staat und Provinz zu sichern.
2. Beziehung zu Österreich
Die internationale Absicherung der Autonomie wird als nicht stark genug eingeschätzt, weshalb der Einsatz der Schutzmacht Österreich im Dialog mit Italien als wichtig angesehen wird. Den Durchführungsbestimmungen wird in einer Wortmeldung keine internationale Absicherung zuerkannt. Es bestehe ständig die Gefahr einseitiger Abänderungen durch Italien. Eine Wortmeldung zieht in Zweifel, ob die bilaterale Absicherung auch als internationale Absicherung gelte.
3. BürgerInnenbeteiligung
Ein autonomes Land brauche offene und verantwortlich handelnde Personen. Dies wird mit einem Appell zu Eigenverantwortung, Zivilcourage und Subsidiarität verbunden. Es liege an den Bürgerinnen und Bürgern, auf die Politikverdrossenheit zu reagieren. Als hilfreich werden hierfür u.a. eine Version des Autonomiestatuts in einer allgemein verständlichen Sprache und die Förderung der direkten Demokratie betrachtet. Die Bevölkerung solle die Regeln der Politik mitbestimmen und als Souverän Grundsatzentscheidungen treffen. Es wird auch angeführt, dass es gewählte Volksvertreter/-innen brauche, da das Volk nicht immer mitentscheiden will.
4. Einwanderung
Es wird als notwendig erachtet, dass die Zuständigkeit für Einwanderungsfragen vom Staat auf das Land übertragen wird, um integrationsförderliche Maßnahmen wir Fortbildung und Information zu fördern. Die Beherrschung der deutschen Sprache müsse zusätzlich zur italienischen als Voraussetzung für den Erwerb der Staatsbürgerschaft anerkannt werden. In der Schweiz, wo der Ausländeranteil höher ist, werden die Gesetze strikter angewendet.
5. Erweiterter Minderheitenschutz
Sinti und Roma, die seit Langem in Südtirol leben, benötigen einen rechtlichen Schutz. Es wird die Frage gestellt, ob der Verweis auf Menschenrechte und die Verfassung für einen angemessenen Schutz der verschiedenen anderen (sprachlichen) Minderheiten in Südtirol ausreiche oder ob es hierfür besondere Maßnahmen braucht. Wer kommt, müsse sich der Mehrheit anpassen. Des Weiteren wird für gemischtsprachige Familien die bislang verwehrte Anerkennung als eigene Sprachgruppe gefordert.
6. Kultur
Aufgrund ihrer identitätsbildenden Funktion wird die Aufwertung von Kultur und Kunst als langfristig wichtigste gesellschaftliche Leistung gefordert. Als ebenbürtige Säulen wie Wirtschaft und Soziales sollen diese Bereiche entsprechend mit Ressourcen ausgestattet werden. Kultur/Kunst muss den „Beiwerk“-Charakter ablegen. Kultur muss mit der Schule in Verbindung stehen und ein Konzept dreisprachiger Kultur voranbringen, das als Klammer für alle drei Kulturabteilungen wirken könnte. In der Präambel des Autonomiestatuts sollte die fundamentale Funktion der Kultur verankert werden. Es gehe um eine Kultur des Zusammenlebens und nicht der Trennung. Dem Bozner Museion sollte eine dem universitären Niveau ebenbürtige Rolle der künstlerischen Auseinandersetzung mit den Fragen der Zeit zugedacht werden.
7. Mehrsprachigkeit und Proporz
Es wird die durchgehend zweisprachige Kommunikation in allen öffentlichen Dienstleistungen gefordert, von der Post über die Telecom, das Steueramt bis hin zu den staatsnahen Behörden. Ebenso sollten durchgehend zweisprachige Etikettierungen bei Medikamenten und Produkten wie Lebensmitteln und Spritzmitteln eingeführt werden. Die Schweiz sei darin Vorbild. Diskutiert wird auch die vorübergehende Aussetzung des Proporzes, um nach fünf Jahren die Effekte zu beurteilen. Die Anstellung der Beamten sollte nach Qualifikation und einem Zweisprachigkeitstest erfolgen. Die Abkehr vom Proporz, so die Vermutung, könnte mehr Motivation zum Sprachenlernen auslösen.
8. Nachhaltigkeit
Eine kleinstrukturierte Landwirtschaft hätte mehr Möglichkeiten nachhaltige Bewirtschaftungsmethoden anzuwenden. Man müsse von den Monokulturen wegkommen und die Konsumenten/-innen sensibilisieren, damit die biologische Landwirtschaft auch profitabel wird. Daszu müsse man die Rahmenbedingungen auf EU-Ebene entsprechend gestalten.
9. Selbstbestimmung
Kontroverse Meinungen charakterisieren die Diskussion: So wird gefragt, ob diese ein innerer Prozess oder ein externer Prozess sei und ob sie rechtlich möglich sei. Es wird die Meinung geäußert, dass die Selbstbestimmung bereits umgesetzt sei. Die Selbstbestimmung müsse von der Mehrheit getragen werden, müsse wachsen und ein europäischer Prozess werden. Ziel sei ein Europa der Regionen als das „Zurück“ zu Österreich. Das Thema wird von den Medien unterdrückt. Die Teilnehmenden einer Diskussionsrunde sind sich einig, dass das Recht auf Selbstbestimmung bestehe, es wird jedoch auf eine Klärung des Begriffs gedrängt und Angst vor Abkapselung geäußert. Anzustreben sei, dass sich Europa weg von den Nationalstaaten entwickelt. Die italienischen Parteien müssten ihre Position dazu klären. Selbstbestimmung wird als Schutz vor dem Verfassungsgericht sowie vor fehlender Rechtssicherheit betrachtet.
10. Schule
Die Chancen der Dreisprachigkeit werden genauso thematisiert wie die Mängel im Erlernen der deutschen Hochsprache. Dies habe mit der häufigen Nutzung der Umgangssprache und des Dialekts zu tun. Dialekt/Umgangssprache und Standardsprache seien beide wichtige Kompetenzen, letztere vor allem für die Verständigung mit Italienisch- und Anderssprachigen. CLIL wird als Gefahr für das Erlernen der deutschen Hochsprache bezeichnet, insbesondere für Jugendliche aus „gemischtsprachigen“ Familien. Mehrsprachige Schulen werden als problematisch eingestuft, aber auch als Option begrüßt. Um den Eltern Wahlfreiheit einzuräumen, wird vorgeschlagen, freie Schulen und alternative Schulmodelle nach finnischem Vorbild zu fördern. Dem wird entgegengehalten, dass die staatliche Schule eine verbindende Funktion habe und eine Zersplitterung des Schulsystems nicht von Vorteil sei. Im Kindergarten sei der Hochsprachunterricht wichtig. Unterstrichen wird, dass es Aufgabe der Eltern sei, das Sprachenlernen zu fördern. Der Italienischunterricht in der Schule sollte wie ein Fremdsprachenunterricht aufgebaut werden. Gemeinsame Schulgebäude für die deutsche und die italienische Sprachgruppe seien angesichts der steigenden Anzahl von Einwandererkindern von Vorteil.
11. Soziale Anliegen
Es wird darauf hingewiesen, dass die finanzielle Wertschätzung von Familienarbeit in Italien zu gering und die Familienförderung viel schlechter als in Deutschland und in Österreich ist. Deshalb wird vorgeschlagen, die familiäre Betreuungsarbeit durch einen Rentenanspruch für Mütter anzuerkennen. Mehr Flexibilität zur Ermöglichung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf könne einen Gewinn für Unternehmen darstellen. Der Bau von kulturübergreifenden Mehrgenerationenhäusern mit gemeinschaftlicher Infrastruktur bzw. gemeinschaftlichen Ökodörfern soll angedacht werden. Durch die Sanierung und Erweiterung bestehender Baumassen bzw. Adaptierung leerer Bausubstanz solle für leistbares Wohnen gesorgt werden. Zur Armutsbekämpfung werden auch Mietbeihilfen bzw. die Absenkung der Mieten als wirksam angesehen sowie der Bau mehrerer Sozialwohnungen durch die Unterstützung des WOBI. Auch sollen Maßnahmen gegen die Arbeitslosigkeit älterer Menschen sowie der Jugend und von Migranten/-innen ergriffen werden.Änderungen im Steuersystem und Modelle für den gleitenden Übergang in die Rente werden gefordert. Nach dem Vorbild der brasilianischen Verfassung solle das bedingungslose Grundeinkommen über direktdemokratische Prozesse im Autonomiestatut verankert werden. Voraussetzung hierfür sei die Steuerhoheit. Konsumsteuern seien eine wesentliche Finanzierungsschiene. Das bedingungslose Grundeinkommen wird als Schutz der kleinstrukturierten Landwirtschaft und als Schutz vor den großen Konzernen befürwortet.
12. Toponomastik
Historische Ortsnamen in der Makrotoponomastik sollen beibehalten werden, während die erfundenen faschistischen Ortsnamen getilgt werden sollen. Aufgrund wissenschaftlicher Kriterien könnten historisch fundierte italienische Ortsnamen belassen werden. Flurnamen seien nicht zu übersetzen und keine italienischen Namen neu zu erfinden. Einer anderen Auffassung nach sollte die künftige Regelung etwas großzügig mit den italienischen Ortsnamen sein und diese nicht nur auf historische begrenzen. Es wird für notwendig erachtet, Informationsarbeit gegenüber den italienischsprachigen Südtirolern zur Toponomastik zu leisten.
13. Unabhängigkeit
Es wird das Konzept angesprochen, über den Weg der Vollautonomie den Weg zu einem eigenständigen Staat zu beschreiten. Diese Vision müsse reifen, wie die Beispiele von Schottland und Katalonien zeigen. Dagegen spreche die Größe Südtirols. Es sei nicht möglich, die Unabhängigkeit von Justiz und Polizei zu gewährleisten. Denkbar sei eine eigenstaatliche Lösung auch zusammen mit anderen Regionen, etwa im Rahmen der Europaregion. Die Vollautonomie finde auch die Zustimmung vieler Italiener. Die Eigenständigkeit sei dem Wiederanschluss an Österreich vorzuziehen. Es wird auch gesagt, dass die Autonomie nichts mehr wert sei. Die Unabhängigkeit von einem durch Korruption, Staatsverschuldung, Jugendarbeitslosigkeit und fehlender Wettbewerbsfähigkeit gekennzeichneten Staat Italien wird als lohnende Perspektive für Südtirol angesehen. Hingewiesen wird auch auf die Staatsform der basisdemokratischen parlamentarischen Monarchie nach dem Beispiel Liechtensteins. Damit würde den Menschen eine Führungsfigur über die traditionellen ethnischen Polarisierungen hinweg angeboten.
14. Zusammenleben
Die Autonomie sei ein Instrument, um das Zusammenleben der drei Sprachgruppen zu gewährleisten. Inzwischen sind neue Bürger/-innen aus anderen Ländern dazugekommen. Den neu Angekommenen dürfe man nicht nur sagen, wie sie sich in unsere Kultur integrieren müssen, es braucht auch die Bereitschaft zur Öffnung seitens der lokalen Bevölkerung. Es müssten Bedingungen geschaffen werden, damit sich Einwanderer auch in den deutschsprachigen Alltag integrieren. Am besten sei es, wenn sie beide Sprachen lernen. Dann gebe es auch die Realität der Mehrsprachigen. Mehrsprachigkeit wird als Bereicherung angesehen. Bemängelt wird, dass Gemischtsprachige ihren Status als solche nicht erklären können. Italienischsprachige Südtiroler/-innen sollten sich nicht mit faschistischen Denkmälern und Ortsnamenregelungen identifizieren. Dagegen verwehren sich italienischsprachige Teilnehmer, die Südtirol schon seit Generationen als ihre Heimat betrachten. Es sei eine konstruktive Diskussion bzgl. der Denkmäler erforderlich. Italienischsprachige Südtiroler sollen nicht ständig unter Prüfungszwang sein. Als positive Beiträge zum Zusammenleben werden sprachgruppenübergreifende Begegnungen der jungen Menschen in der Freizeit, die Zusammenlegung von Sportgruppen, gemeinsame Schulgebäude mit gemeinsamen Tätigkeiten am Nachmittag und gemeinsame Jugendzentren genannt. Im Alltag sei das Zusammenleben auf einem guten Weg. Zentral sei es, Gerechtigkeit, Gleichheit und Respekt der Einzelnen und der Gruppen in Bezug auf Schule, Kultur und Bildung, Proporz und Ressourcennutzung zu gewährleisten.
Die vollständigen Protokolle sind hier einsehbar: Dokumente.