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Die Themen von Bozen: Schule, Proporz und Selbstbestimmung

In der Europäischen Akademie Bozen (EURAC) hat am Samstag, 23. Jänner 2016, der erste Open Space des Südtirol-Konvents stattgefunden. Das Interesse war groß: 35 Themen sind von den Teilnehmern eingebracht und diskutiert worden. 34 Protokolle dieser Diskussionen sind daraus entstanden. Diese Zusammenfassung gibt davon eine Übersicht.Nicht alle dargelegten Argumente können hier in vollem Umfang wiedergegeben werden, jedoch sind kontroverse Positionen herausgearbeitet worden. Für den genauen Wortlaut wird auf die vollinhaltliche Transkription verwiesen. Hier geht's zum Dokument. 

Die Vorschläge aus den Protokollen wurden zu neun thematischen Clustern zusammengefasst:

 

1.     Ausbau der Autonomie

Für den Ausbau der Autonomie werden detaillierte Vorschläge vorgelegt, wonach Südtirol in zahlreichen Politikfeldern die primäre Gesetzgebungsbefugnis und somit weitere Kompetenzen zuerkannt werden sollen. Genannt werden u. a. die Bereiche Umwelt, Handelskammer, Arbeitsrecht, Arbeitsbeziehungen, Raumordnung, Gesundheitswesen, öffentlicher Rundfunk, Postverwaltung, Schul-und Sportautonomie, Landespolizei, Steuerhoheit, Migrationspolitik. Die Durchgriffsklausel des Staates soll abgeschafft werden. Der Ausbau der Zuständigkeiten ist auch das Ziel der Verfechter der Vollautonomie. Weitere Kompetenzübertragungen sollen mittels Verhandlungen mit der Regierung in Rom bzw. auf parlamentarischer Ebene erzielt werden, u.a. im Zuge der Änderung des Autonomiestatuts. Der Fortbestand der Region wird kontrovers diskutiert. Andere Autonomiemodelle werden als Vorbilder genannt (Åland, Grönland).

 

2.     BürgerInnenbeteiligung

Im Autonomiestatut sollen die Mitspracherechte der BürgerInnen verankert werden, u.a. die Zuerkennung der Statutshoheit an Südtirol, die Möglichkeit von Volksinitiativen auch zum Wahlgesetz und zum Gesetz zur direkten Demokratie und Grundsätze der partizipativen Raumplanung.

 

3.     Europa

Die Europaregion soll gestärkt werden. Das Europa der Regionen bedeutet Vielfalt und Eigenheit der jeweiligen Territorien und dies soll identitärer Referenzpunkt für zukünftige Generationen werden. Die Beziehungen mit der Europäischen Union müssen geregelt werden. Eine neue europäische Dimension ist die der Makroregionen.

 

4.     Präambel

Im Zuge der Überarbeitung soll das Autonomiestatut eine Präambel mit grundsätzlichen Aussagen erhalten. Vorgeschlagen wurden u. a.: Pariser Abkommen, Südtirols kulturelle Besonderheiten und identitätsmäßige Vielfalt, Bürgerrechte, interregionale und internationale Zusammenarbeit, Subsidiaritätsprinzip, Territorialautonomie, Selbstbestimmungsrecht, Schutzmachtfunktion Österreichs.

 

5.     Proporz und Mehrsprachigkeit

Der Proporz wird auch für die Zukunft als notwendiges Friedensinstrument betrachtet, das alle drei Sprachgruppen schützt. Auch Zuwanderer sollten sich einer Sprachgruppe zuordnen. Die effektive Zweisprachigkeit sollte überprüft und deren Nichteinhaltung sanktioniert werden. Missbräuchlichen Zugehörigkeitserklärungen sollte ein Riegel vorgeschoben werden. Es wird aber auch gefordert, den Proporz und die Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung abzuschaffen und bei Stellenbesetzungen nur die Sprachkenntnisse zu überprüfen. Der Proporz sollte flexibel angewandt und durch Korrektive ergänzt werden, die der fachlichen Eignung stärker Rechnung tragen.

 

6.     Schule

Eine Position besteht in der strikten Ablehnung eines Abrückens vom Prinzip des muttersprachlichen Unterrichts sowie jeder Form der Immersion. Der Methode CLIL wird unterstellt, dass sie die Qualität des Unterrichts zerstöre. Dem steht die Forderung gegenüber, dass die Sprachgruppen eigenständig über die Schulmodelle entscheiden sollen. Man müsse sich neuen Wegen öffnen. Den Eltern soll es demnach offen stehen, in welcher Schule sie die Kinder einschreiben. Das ladinische Schulmodell wurde als positives Beispiel erwähnt. Kritisiert werden fehlende Erfolge im Zweitsprachenunterricht, aber auch Mängel in der Beherrschung der Muttersprache sowie der fehlende Wille zum Erlernen der Zweitsprache. Die Zweitsprache sollte in ihrer alltagssprachlichen Ausprägung gelehrt werden.

 

7.     Selbstbestimmung

Von einer Reihe von Teilnehmern wird betont, dass das Selbstbestimmungsrecht ein Grundrecht ist, das über der Verfassung steht und deshalb den Südtirolern zugestanden werden muss. Das Bekenntnis zur Selbstbestimmung soll im Autonomiestatut verankert werden. Ziel ist die Errichtung eines eigenständigen Staates. Verwiesen wird auf die Selbstbestimmungsbestrebungen in anderen europäischen Regionen. In anderen Wortmeldungen wird vor isolationistischen Tendenzen gewarnt und die Möglichkeit, die Herauslösung aus dem italienischen Staat durchzusetzen, infrage gestellt. Die Autonomie wird von einigen als zufriedenstellende Lösung angesehen, die in Richtung Vollautonomie weiter entwickelt werden kann. Bei einer Abspaltung von Italien sollte zuvor das Verhältnis zur EU geklärt werden, auch die Frage, ob Südtirol auf sich alleine gestellt finanziell überleben kann.

 

8.     Toponomastik

Bei der Toponomastikfrage wird von TeilnehmernInnen, die diese als grundlegendes Problem betrachten, die gesetzliche Anerkennung der historisch gewachsenen Ortsnamen und die Abschaffung der pseudoitalienischen Ortsnamen gefordert, die nur mehr im alltäglichen Sprachgebrauch genutzt werden sollen. Andere rufen dazu auf, mit der Thematik der Ortsnamenregelung locker umzugehen.

 

9.     Zusammenleben der Sprachgruppen

Südtirol soll laut einer Reihe von Wortmeldungen bereichernder Begegnungsraum für unterschiedliche Menschen, Kulturen und Sprachen sein. Das Denken in Sprachgruppen und Ängste sollen überwunden und Stätten der Vergebung geschaffen werden. Die Kenntnis der zweiten Sprache wird als Schlüssel für das Zusammenleben betrachtet. Andere Diskussionsteilnehmer halten den Begriff der ethnischen Gruppe für wichtig und notwendig. Sie wollen in Südtirol keinen nivellierenden Mischmasch. Es gebe keine ethnischen Käfige, jeder könne sich frei entwickeln. Im Land gebe es Zusammenleben, aber auch Nebeneinander. Für ein gutes Zusammenleben brauche man eine starke Abnabelung von Rom.