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Schlanders war anders

Dieser Text gibt eine qualitative Übersicht zu den Themen und Überlegungen, die in der fünften Open-Space-Veranstaltung im Rahmen des Südtirol-Konvents im Kulturhaus Karl Schönherr in Schlanders erarbeitet worden sind. Er geht auf unterschiedliche Fragestellungen und Argumente ein, versucht kontroverse Positionen auszuleuchten, erhebt jedoch keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Als Grundlage dienen die von den Teilnehmenden verfassten Protokolle zu den einzelnen Workshops. Für deren genauen Wortlaut wird auf die vollinhaltliche Transkription (http://www.konvent.bz.it/sites/default/files/atoms/files/protokolle_schlanders_1.pdf) verwiesen.

Es standen insgesamt 30 Themen zur Diskussion, 29 Protokolle wurden dem Sekretariat des Autonomiekonvents übermittelt. Die Vorschläge aus diesen Protokollen wurden zu den folgenden 13 alphabetisch gereihten thematischen Clustern zusammengefasst, die weitgehend jenen der vier vorangehenden Open Space Veranstaltungen entsprechen.

 

  1. Ausbau der Autonomie

Südtirol verfügt bereits über viele Zuständigkeiten im Rahmen der Autonomie. Auch in der Währungs-, Verteidigungs- und Außenpolitik soll eine umfassende Selbstverwaltung gewährleistet sein. Dies soll u.a. durch Umwandlung der sekundären Zuständigkeiten in primäre im Sinne der Vollautonomie bewerkstelligt werden, etwa durch einen automatischen Mechanismus, z. B. nach Ablauf von zehn Jahren. Primäre Zuständigkeit des Landes sollen werden: Steuer- und Finanzautonomie, Umwelt, Arbeitsrecht, Arbeitsvermittlung, Arbeitsbeziehungen, Fürsorgerecht, Gesundheitswesen, Arbeiterkammer, Polizei, Sicherheit und Justiz, Verkehr, Bildung, Sport. Als Teil der Sportautonomie werden die Bildung eines eigenen Kaders und die Nutzung einer eigenen Fahne betrachtet, aber auch die Möglichkeit, sich die Nationalmannschaft aussuchen zu können. Die Zuständigkeiten des Regierungskommissariats sollten wie in der Region Aosta an den Landeshauptmann übergehen. Südtirol müsse zudem die primäre Zuständigkeit für die Umsetzung von EU-Recht übertragen werden, was bei der Handhabung von EU-Rahmenrichtlinien von Vorteil wäre. Was die Zuständigkeiten der EU angeht, wird die Lösung zudem in einer Schutzklausel für Südtirol auf EU-Ebene gesehen. Die internationale Absicherung der Autonomie durch das Gruber-Degasperi-Abkommen wird als Fakt erwähnt, aber deren Wert wird in Zweifel gezogen.

 

  1. Bürger/-innenbeteiligung

Die Teilnehmer/-innen fordern die Verankerung der direkten Demokratie in der Gesetzgebung bzw. im Autonomiestatut; über alles, was in die Landeszuständigkeit fällt, sollen die Bürger/-innen abstimmen können. Insbesondere wird die Einführung der Volksinitiative ohne Quorum und des Referendums gefordert, aber auch das Initiativrecht und das Referendum betreffend Beschlüsse der Landesregierung. Die direkte Demokratie in der Schweiz und in Liechtenstein sind Vorbilder. Auch wird gesagt, dass Südtirol die Reife für die Anwendung der genannten Modelle fehle. Dem Autonomiekonvent wird attestiert, dass das Mitreden positiv sei, jedoch bemängelt, dass die Mitbestimmung zu kurz komme. Die Information über den Konvent und die Beteiligung werden als nicht zufriedenstellend bezeichnet. Acht Bürger im Gremium der 33 seien zu wenig. Über das dritte Autonomiestatut soll durch ein Referendum abgestimmt werden.

 

  1. Einwanderung

In der Flüchtlingspolitik werden europäische Lösungen als angebracht erachtet. Betont wird, dass die Menschen lernfähig sind und Inklusion vor allem über die Sprachkenntnisse und Informationen erfolgt. Die Förderung des Sprachenlernens in der Schule und darüber hinaus sei wichtig. Die Sportvereine werden als Vorbild für erfolgreiche Integration genannt. Sorge bereitet, dass die Einwanderer/-innen den Proporz zugunsten der italienischen Sprachgruppe verfälschen könnten.

 

  1.          Europaregion

Die Teilnehmenden befürworten die Verankerung der Europaregion im Autonomiestatut und die Neudefinition der Makroregion Alpenraum. Auf der Ebene der Europaregion soll ein vom Volk gewähltes Gremium eingesetzt werden. Gefordert werden Vereinfachungen für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit, die Förderung regionaler Kreisläufe, ein Europaregionenpass für die öffentlichen Verkehrsverbindungen, Bus- und Zugverbindungen von Mals bis Landeck, Partnerschaften der Gemeinden und die Einbindung der Jugend. Die Schützen werden als Vorbild für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit angesehen, die auch durch die doppelte Staatsbürgerschaft Impulse erhalten könnte.

 

  1.  Kultur

In der Diskussion wird eine höhere Wertschätzung der Kultur eingefordert, da diese für die Gestaltung des Lebensraumes, der Dörfer, der Architektur und den Denkmalschutz wichtig ist. Bildung und Kultur seien Bestandteile des täglichen Lebens, die den Verfall in die Barbarei verhindern. Kontrovers diskutiert wird das Spannungsfeld zwischen konventioneller Kultur und Subkultur samt den entsprechenden Förderungsansätzen. Dass kein/e Kulturvertreter/in im Gremium der 33 Platz gefunden habe, wird als Manko betrachtet.

 

  1. Nachhaltigkeit

Die Nachhaltigkeit wird als Richtschnur der Politik eingefordert. Als Schwerpunkte werden regionale Kreisläufe und nachhaltige Mobilität genannt. Für das Land werden mehr Zuständigkeiten zu Umweltthemen gefordert. Im Bereich Gesundheit wird die Bedeutung von Aufklärung, Information und Präventionsarbeit unterstrichen.

 

  1. Politikergehälter

Die Ausübung eines politischen Mandats wird als zeitlich beschränkte Aufgabe eingeordnet, für die ein angemessenes Gehalt notwendig sei, um gegen Korruption gefeit zu sein. Für die Landtagsabgeordneten wird das Nettogehalt mit 5.000 Euro zuzüglich Altersvorsorge beziffert, wobei keine gesonderten Spesenvergütungen vorgesehen werden. Politiker/-innen tragen wie Ärzte eine große Verantwortung. Als Bemessungsgrundlage für die Politikergehälter werden die Beamtengehälter genannt.

Das Volk als Arbeitgeber der Politiker/-innen solle über deren Gehälter entscheiden. Es sei schwierig, Gemeindereferenten/-innen zu finden, weil sie zu wenig für ihren Aufwand erhalten.

 

  1. Proporz und Mehrsprachigkeit

Der Proporz wird als friedensstiftendes Element bezeichnet, das gut funktioniere und einen wichtigen Schutz für die Sprachgruppen darstelle. Dessen zeitweilige Aussetzung wird abgelehnt. Es wird die Ausweitung auf Staatsstellen gefordert. Bei einer eigenstaatlichen Lösung werde der Proporz zum Schutz der Italienischsprachigen benötigt. Bei der Gleichstellung aller Volksgruppen aufgrund eines übergreifenden Identitätsverständnisses sei der Proporz nicht notwendig. Hingewiesen wird auch auf die Schwierigkeiten der Proporzanwendung bei Gemischtsprachigen bzw. Zweisprachigen. Es wird auf die Zweisprachigkeit im öffentlichen Bereich, u. a. im Gesundheitswesen bzw. bei der Etikettierung von Medikamenten und anderen Produkten wertgelegt. Viele Italienischsprachige in Südtirol haben noch nicht Deutsch gelernt. Es herrscht aber auch die Meinung, dass es keine Probleme beim Zusammenleben gebe.

 

  1. Schule

Es wird die Bedeutung des muttersprachlichen Unterrichts unterstrichen. Man sollte nicht auf die Sprache allein fixiert zu sein, da Inhalte ebenso wichtig sind. Angehende Lehrkräfte sollen auf den CLIL-Unterricht vorbereitet werden. Dieser beeinträchtige die Muttersprache nicht. Die Lehrkräfte sollten mehr Hochdeutsch sprechen. Der Schüleraustausch mit italienischen Schulen wird als förderungswürdig erachtet. Die Fremdsprachendidaktik soll im Italienischunterricht verwendet und die italienische Kultur als Freifach angeboten werden. Italienisch sei als Zweitsprache und nicht als Fremdsprache zu betrachten. Der Geschichtsunterricht müsse verstärkt werden. Angeregt wird, das britische Schulsystem in Südtirol anzuwenden, das den Schüler/-innen der Oberstufe mehr Gestaltungsfreiraum bietet.

 

  1.  Selbstbestimmung/Eigenständigkeit

Einige sehen die Autonomie nur als Zwischenlösung auf dem Weg zur Selbstbestimmung, welche im Autonomiestatut verankert und über die direkte Demokratie erreicht werden soll. Andere betrachten die Autonomie als bereits umgesetzte innere Selbstbestimmung und warnen vor den Risiken der Forderung nach externer Selbstbestimmung, etwa aufgrund verfassungsrechtlicher Probleme. Die Verfechter/-innen der Selbstbestimmung sprechen sich dafür aus, die Italiener/-innen für eine eigenstaatliche Lösung zu gewinnen und verweisen auf effiziente Kleinstaaten wie Liechtenstein. Es sollte ein white paper zur Unabhängigkeit verfasst werden. Die Verfechter/-innen der Autonomie verweisen auf die Autonomie als Erfolgsgeschichte für eine Zukunftsvision für Südtirol. Eine Volksabstimmung zur Eigenstaatlichkeit schwäche die Autonomie.

 

  1.  Soziales

Soziale Solidarität sei die Voraussetzung für ein friedliches Zusammenleben. Die Präambel zum Autonomiestatut solle den Grundsatz beinhalten, dass ein gerechtes und solidarisches Südtirol angestrebt wird. Konkret soll dies u.a. durch eine sozial ausgestattete Autonomie und die Verankerung des Prinzips der materiellen Absicherung im Autonomiestatut zum Ausdruck kommen. Gefordert wird die Verankerung des Anspruchs auf ein menschenwürdiges, individuelles und bedingungsloses Grundeinkommen und des Anspruchs auf Kindergeld und leistbares Wohnen. Die Orientierung an christlichen Werten wird als wichtige Grundlage bezeichnet. Als problematisch wird die Überlagerung unterschiedlicher Kompetenzen im Bereich Soziales zwischen EU, Staat, Region und Land angesehen. Einkünfte/Gewinne des Landes, etwa im Bereich Energie, sollten in einen Solidarfonds einfließen und für soziale Zwecke verwendet werden.

 

  1. Toponomastik

Unter dem Faschismus sind italienische Ortsnamen eingeführt worden und die deutschen Ortsnamen sind bis heute ohne rechtliche Grundlage. Italienische Ortsnamen werden als historisches Unrecht bezeichnet und internationale Beispiele der Wiedereinführung historischer Ortsnamen angeführt, wie von der UNO empfohlen. Jedoch sei zu den seit 100 Jahren gebräuchlichen italienischen Ortsnamen eine Bindung aufgebaut worden und deren Eliminierung könne auch Unrechtscharakter aufweisen. Der Landtag könne den deutschen Ortsnamen Rechtskraft verleihen, sodass sie auch auf GPS und in Navigationssystemen angeführt werden. Diese Vorgangsweise wird umgekehrt wieder als falsche Toleranz abgelehnt. Im Falle einer Einigung können die Ortsnamen auch einsprachig festgelegt werden.

 

  1. Zusammenleben

Die Parallelgesellschaften mit separaten Vereinen und Begegnungsorten seien zu überwinden. Die Begegnung der Sprachgruppen sei zu fördern, beginnend mit der Aufhebung der Trennung nach Sprachgruppen in Kindergärten und Schulen. Dadurch würden langfristig soziale Kontakte angebahnt. Im Vinschgau bringen sich die Italiener ein, deren Anzahl ist jedoch rückläufig. Über einen unabhängigen Staat könne wie in der Schweiz eine gemeinsame Identität unabhängig von der Sprache geschaffen werden. Auch zweisprachige Klassen werden als Modell erwähnt. In den Landgemeinden besteht größerer Handlungsbedarf, was die Begegnung der Sprachgruppen angeht. Positiv sei die Zusammenarbeit zwischen dem Bildungsausschuss Schlanders und dem Circolo Culturale.