Bedingungsloses Grundeinkommen im Statut festschreiben

Angesichts einer weltweiten wirtschaftlichen Entwicklung, bei der trotz steigender Produktivität immer weniger menschlicher Arbeitseinsatz erforderlich ist, ist ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) unumgänglich. Aktuellen Untersuchungen zufolge sollen in den nächsten 20 Jahren durch die Robotisierung und Digitalisierung bis zu 50 % aller Jobs verschwinden. Aufgabe der Wirtschaft ist es auch nicht, Arbeitsplätze zu schaffen, sondern Bedürfnisse zu befriedigen. Und dazu können zunehmend Maschinen eingesetzt werden, die uns mühsame und eintönige Arbeiten abnehmen. Hat im Grunde nicht jeder Mensch auch einen Erbanspruch auf die Früchte dieses Fortschritts, der ganzen Generationen zu verdanken ist?

Das BGE wurde dieses Jahr beim Weltwirtschaftsforum in Davos als praktikable Lösung thematisiert und wichtige internationale bzw. europäische Medien wie die New York Times, The Guardian, die Neue Züricher Zeitung oder Die Zeit haben der Idee kürzlich viel Platz eingeräumt. Frankreichs Wirtschaftsminister hat sich diese Tage positiv zur Idee des BGE geäußert.

Im Juni 2016 stimmt die Schweiz dank Direkter Demokratie (Volksinitiative) darüber ab, ob das bedingungslose Grundeinkommen eingeführt werden soll.

Brasilien hat als erstes Land 2004 dieses individuelle Bürgerrecht in seine Verfassung aufgenommen: "Im Gesetz 10.835/2004 wird das Recht aller Brasilianer auf ein bedingungsloses Grundeinkommen festgelegt. Garantiert wird eine staatliche Leistung für alle Bürger, die mindestens fünf Jahre im Land leben. Diese soll die Grundbedürfnisse von Ernährung, Erziehung und Gesundheit abdecken – unabhängig davon, ob der Empfänger arbeitet oder Vermögen hat." (Quelle) Erste Schritte zu seiner Umsetzung sind u.a. mit dem Programm "Bolsa Familia" gesetzt worden.

Was ist das bedingungslose Grundeinkommen: Ein Grundeinkommen ist ein Einkommen, das eine politische Gemeinschaft bedingungslos jedem ihrer Mitglieder gewährt. Es soll die Existenz sichern und gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen, einen individuellen Rechtsanspruch darstellen sowie ohne Bedürftigkeitsprüfung und ohne Zwang zu Arbeit oder anderen Gegenleistungen garantiert werden. (Quelle)

Das BGE stellt unser Weltbild vom Kopf auf die Füße. Unsere Wahrnehmung, unsere geistige Haltung ist immer noch die des Selbstversorgers: Wir meinen, von unserer eigenen Arbeit zu leben – wie der Steinzeitmensch, der sich in der Natur, die „allen“ gehörte, das holte, was er brauchte. Dem ist aber schon lange nicht mehr so. Wir leben alle von dem, was andere geleistet haben, und arbeiten selbst für die anderen. Das Grundeinkommen verleiht einer kooperativen Wirklichkeit Ausdruck, die wir derzeit noch als "Jeder gegen Jeden"-Kampf erleben. Das BGE stellt den Menschen wieder in den Mittelpunkt und macht seine Würde erst wirklich unantastbar. Es gibt dem Einzelnen wirkliche Verhandlungsmacht und fordert von ihm, Verantwortung zu übernehmen. Es ist keine Sozialhilfe, sondern Verwirklichung des Rechts auf Leben, auf die Wahrung der persönlichen Würde und auf freie Wahl der Arbeit.

Finanziert ist das Grundeinkommen in einem Wirtschafts- und Sozialsystem wie dem unseren bereits: Über die Preise von Waren und Dienstleistungen zahlen wir Einkommen und Sozialbeiträge für jene Menschen, die an deren Produktion bzw. Erbringung beteiligt sind, über die Sozialsysteme zahlen wir all jenen ein Einkommen (sog. Transfereinkommen), die nicht oder in geringerem Maße für uns auf dem Arbeitsmarkt tätig sein können. Und Letztere werden immer mehr. Mit dem bedingungslosen Grundeinkommen koppeln wir jenen Anteil dieser - heute über Umwege und zu gewissen Bedingungen gezahlten - Einkommen, der für ein Leben in Würde und die gesellschaftliche Teilhabe erforderlich ist, von der Erwerbsarbeit ab, und zahlen ihn direkt aus.

Skeptiker seien trotzdem auf verschiedene Finanzierungsmodelle verwiesen, die noch zusätzlich die Finanzierbarkeit des BGE belegen. In Südtirol ist es aber wie gesagt bereits finanziert, hier geht es vielmehr um die Umsetzungsmethode. Dazu gibt es Vorschläge, die von einer alleinigen Konsumsteuer über eine Transaktionssteuer bis hin zu "monete fiscali" (wörtl.: Steuer-Währungen) reichen und zum Teil für die Übergangszeit nützlich sind.

Zu berücksichtigen ist auch, dass ein BGE beträchtliche Einsparungen mit sich bringt, etwa durch das Wegfallen gigantischer Kontroll- und Verwaltungsapparate, durch den Rückgang stressbedingter Krankheiten uvm. Erhalten bleiben hingegen Leistungen für Menschen, die einen Mehrbedarf haben (z.B. bei chronischen Krankheiten, etc.). Langfristig wird eine Steuerreform, die von der Besteuerung von Arbeit absieht, ebenso unumgänglich, will man den sinkenden Steuereinnahmen aufgrund der rückläufigen Anzahl an Erwerbsarbeitsplätzen entgegenwirken. Dabei sollte sich der Gesetzgeber dessen bewusst sein, dass sämtliche Steuern und Abgaben, die Unternehmen betreffen, über die Preise vom Endverbraucher getragen werden.

Zur Verankerung des Grundeinkommens im Autonomiestatut sollen direktdemokratische Instrumente zur Anwendung kommen: ein landesweites Referendum (falls der Vorschlag von der repräsentativen Politik kommt) bzw. eine Volksinitiative (falls der Vorschlag von der Zivilgesellschaft kommt). Damit sich alle Südtirolerinnen und Südtiroler in öffentlichen und persönlichen Debatten mit der Idee auseinandersetzen und letztlich darüber befinden können, ob sie deren Verwirklichung befürworten.

Eine wirtschaftlich prosperierende Region wie Südtirol kann und sollte hier Vorreiter sein. Wir Bürgerinnen und Bürger können uns gegenseitig einen sicheren Platz in der Gesellschaft garantieren.

 

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Comments

Mit diesem Kommentar will ich gar nicht darauf eingehen, ob ein BGE sinnvoll (d.h. für eine Gesellschaft förderlich) ist oder nicht. Leider müsste wirklich jemand erst Vorreiter spielen, damit man belastbare Zahlen dazu hätte. Vielmehr möchte ich auf die Rolle Südtirols als solcher Vorreiter eingehen: Südtirol ist Teil Italiens - und auch falls es dies in (ferner?) Zukunft nicht mehr sein sollte, so doch Teil der Europäischen Union. Wie könnte ein von Südtirol finanziertes BGE funktionieren, ohne dass Südtirol verpflichtet wäre jedem Staatsbürger bzw. sogar europäischen Bürger dann ein solches auszubezahlen? Über eine mehrjährige Ansässigkeitspflicht? Und würde ein BGE nicht dazu führen, dass ziemlich viele Europäer versucht wären ihren Hauptwohnsitz nach Südtirol zu verlegen? Und zwar insbesondere solche Personen, die dann nicht in dem Maße zur Gesellschaft beitragen wie dass sie profitieren würden (sowohl finanziell als auch anderweitig). Auf die dadurch ins Unermessliche gesteigerte Attraktivität Südtirols auf außereuropäische Zuwanderer, will ich gar nicht erst eingehen. Kann ein BGE also überhaupt funktionieren, ohne dass man die Grenzen dicht machen und sich Einwanderer-technisch völlig von der Welt abnabeln muss? Und widersprechen mögliche Bedingungen um die vorhergenannten Probleme zu lösen, nicht dem Grundgedanken der Bedingungslosigkeit des BGE? Kurz gesagt: Lässt sich die Einführung eines BGE nicht nur in einem übergeordneten Rahmen, beispielsweise der Europäischen Union, diskutieren?
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Zuerst muss die Idee in die Herzen, dann findet sich die Lösung und zwar demokratisch. Wichtig wäre, dass man, indem man es hineinschreibt, die Absicht festschreibt. Das wird noch und nach in ganz Europa in die Herzen eindringen, dann wird es eingeführt. Brasilien hat es das BGE in die Verfassung geschrieben aber noch nicht durchgeführt. Erst muss man es für sinnvoll erachten und dann demokratisch den Weg suchen. Wer braucht selbstfahrende Autos? Sie werden entwickelt.
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Sylvia Mair's picture
Italienischsprachige Fassung: https://www.konvent.bz.it/de/content/inserimento-del-reddito-di-base-incondizionato-nello-statuto
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